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Modegeschichte

Die Tracht in Deutschland

Foto: Frauen und Männer in historischer Tracht

Begriffsdefinition

Die Tracht entwickelte sich aus der ländlichen Kleidung einfacher Bauern und Bäuerinnen und bezeichnet eine bestimmte Kleidergepflogenheit, die regional, zeitlich, konfessionell und teilweise auch ethnisch begrenzt ist und den sozialen Status der Trägerin oder des Trägers präsentiert. Je nach Anlass gab und gibt es verschiedene Trachten, diese dienen hauptsächlich der Kommunikation und geben beispielsweise Auskunft über Wohlstand, Beruf oder persönlichen Status.

Erste Trachten im 15. Jahrhundert

Die ersten Trachten gab es in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert und einige Trachten haben heute noch ihren Ursprung in dieser Zeit.
Von Adel und Klerus wurden per Gesetz Kleiderordnungen erlassen, die es Bürgern, Bauern und Juden verbot, bestimmte Materialien, Kleidungsstücke oder Farben zu tragen, um die edelste Kleidung so sich selbst vorzubehalten.
Wohlhabendere Familien wollten ihren Wohlstand nichtsdestotrotz auch in ihrer Kleidung präsentieren und entwickelten verschiedenste Ideen, um ihre Kleidung trotz Kleiderordnung möglichst prunkvoll erscheinen zu lassen.
So trugen die Frauen im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis (Schwälmer Tracht) z.B. bis zu 15 Röcke übereinander.

Foto: Paar in Schwälmer Tracht

Trachtenpflege

Ab dem 19. Jahrhundert orientierte sich die ländliche Bevölkerung immer mehr an der internationalen Mode der Stadtbevölkerung. Gleichzeitig wurden die ersten Initiativen zur Trachtenpflege gegründet und neue Trachten entwickelt, damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner einzelner Fürstentümer voneinander absetzen konnten.
Besonders das Haus Wittelsbach unter König Ludwig I nutzte die Trachtenpflege aus staatspolitischer Motivation und begründete so die bis heute anhaltende Identifikation der Bayern mit ihren Trachten.

Die Wiesn

Anlässlich der Hochzeit König Ludwigs mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Oktober 1810 fand ein Pferderennen auf einer Wiese vor der Toren Münchens statt.
Das Pferderennen wurde mit einem Festumzug eröffnet, bei dem acht Kinderpaare in eigens hierfür entworfenen Trachten dem Brautpaar huldigten. Die verschiedenen Trachten der Kinderpaare sollten die verschiedenen Regionen Bayerns symbolisieren und ein bayerisches Nationalgefühl im neu geschaffenen Königreich schaffen.
Gleichzeitig gab sich das Königshaus bodenständig und volksnah und erschien immer wieder in Tracht bei offiziellen Anlässen.
Seit 1810 findet jedes Jahr auf der, mit königlicher Genehmigung genannten "Theresienwiese" das Oktoberfest oder die Wiesn statt (seit dem Ende des 19. Jahrhunderts findet das Fest aufgrund des schöneren Wetters im September statt).

Druck: Pferderennen auf Theresienwiese um 1811

Umbrüche durch Industrialisierung

Mit der Industrialisierung und der Entstehung neuer Wirtschaftszweige in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zog es die Landbevölkerung verstärkt in die Städte.
Gleichzeitig gründeten sich ab den 1880er Jahren immer mehr Trachtenvereine in ganz Deutschland, beeinflusst von Romantik und der Wandervogelbewegung. Es sollten regionale Bräuche gepflegt und erhalten bleiben und Identitätsstiftend wirken.

historisches Foto: Mädchengruppe in Tracht

Für die reiche Stadtbevölkerung wurde es um die Jahrhundertwende modern, am Wochenende und im Sommer aufs Land hinaus zu fahren und die Sommerfrische zu genießen.
Die Anfänge des Tourismus verstärkten die Besinnung auf traditionelle Tracht im ländlichen Raum, vor allem im Alpenraum: Besucherinnen und Besucher wollten das idyllische, romantisierte Landleben, die heile Welt und die gute, alte Zeit erleben und selbst einfache, bäuerliche Kleidung tragen. Das Landleben wurde stilisiert als Kontrast zu den Umbrüchen der Industrialisierung.
Das Dirndl, ein sehr einfaches Kleid der alpenländischen Magd und im eigentlichen Sinne keine traditionelle Tracht, wurde von vielen Städterinnen nachgeschneidert und auch für die Stadt als praktisches Kleidungsstück entdeckt.

In dieser Zeit wurde auch die bekannteste deutsche Tracht entworfen, die Miesbacher Tracht, die trotz ihrer eher kurzen Geschichte heute weltweit als Inbegriff von traditioneller deutscher Tracht gilt, obwohl allein in Bayern heute noch viele verschiedene und traditionsreichere regionale Trachten existieren.

Foto: Frau in Miesbacher Tracht

Hitlers "Urtracht"

Adolf Hitler instrumentalisierte in den 1930er Jahren die Trachtenbewegung. Regionale Trachtenvereine wurden verboten und die "Mittelstelle deutsche Tracht" eingerichtet. Diese sollte die Tracht vereinheitlichen und eine reichsdeutsche "Urtracht" für alle Arierinnen entwerfen: eine Art Dirndl-Uniform als Abgrenzung von Amerikanismus und Judentum. Der jüdischen Bevölkerung wurde das Tragen von Trachten verboten.
Hitler selbst zeigte sich häufig in Lederhosen, die vom Münchner Trachtengeschäft Wallach geschneidert wurde und welches 1938 zwangs-arisiert wurde. Ebenfalls 1938 wurde das Oktoberfest umbenannt in "Großdeutsches Volksfest".
Die Ehefrauen der NS-Funktionäre orientierten sich jedoch an Chic und Eleganz der französischen Mode, eine gesamtdeutsche Tracht wurde nicht durchgesetzt.

Bis heute wurde die Rolle des Brauchtums und die Umdeutung der Tradition in Deutschland und Österreich während des Nationalsozialismus nur wenig erforscht, bzw. gab es nach dem Zweiten Weltkrieg keinen wirklichen Bruch.
Trachtenvereine wurden in Deutschland 1946 wieder zugelassen, insgesamt gab es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg 500 Vereine und viele Schlüsselfiguren aus der NS-Zeit blieben auch in den neu oder wieder gegründeten Trachtenvereinen in angesehenen Positionen.

Heimatfilme und die Olympiade 1972

Seit den 50er Jahren wurden verschiedene deutsche Trachten international durch folkloristische Heimatfilme populär, z.B. "Im weißen Rössl" von 1960 oder "The Sound of Music" von 1965 und durch die Olympiade 1972 in München, bei der die Hostessen in eigens für die Olympiade entworfenen Dirndl eingekleidet waren.

Filmstill aus "The Sound of Music" mit Julie Andrews

Die Tracht als Inspirationsquelle

Erst in den letzten Jahren sind Dirndl und Lederhosen besonders bei jüngeren Menschen und auch außerhalb Oberbayerns sehr beliebt.
Auch international erfolgreiche Designer lassen sich von der alpenländischen Tracht inspirieren, z.B. Karl Lagerfeld, der 2014 die "Métier d'Arts"-Kollektion für Chanel entwarf, die von den Trachten des Salzburger Landes inspiriert war und auch in Salzburg präsentiert wurde.

Neue Heimatliebe

Ähnlich wie im 19. Jahrhundert gibt es eine Rückbesinnung auf Heimat, Tradition und Regionalität.
Dies zeigt sich in der Wiederbelebung von Trachten, aber auch im Trend zu handgemachten, regionalen Produkten, zum Selbermachen und dem Verüben von einfachen handwerklichen Tätigkeiten als Freizeitgestaltung, wie Gärtnern oder Stricken und einer allgemeinen Land- und Naturromantik.

In den Heimatmuseen kleinerer Städte gibt es immer wieder Ausstellungen mit regionalen Trachten.
Bis zum 25. September findet aktuell die Ausstellung "Immer gut gekleidet: Zur Geschichte der Tracht im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald" statt.

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